• Brunftzeit mit einem Jäger

    Rotwild„Langsam aber sicher steigt bei den Rothirschen der Spiegel des Sexualhormons Testosteron bis in die letzte Geweihspitze. Der König der Wälder – Deutschlands größtes freilebendes Wildtier – gerät in Liebesrausch. Sie können in den Morgen- und Abendstunden beim Brunften beobachtet und akustisch wahrgenommen werden“, lesen wir neugierig auf der Homepage der Fasanerie in Klein-Auheim. Das klingt so schräg, da müssen wir einfach hin!

    Kein Besuch dort kann ohne die obligatorische braune Papiertüte stattfinden, aus der jeder Gast die übergewichtigen Ziegen oder die dreckigen Wildschweine füttert. Also statten auch wir uns mit Futter aus und schlendern durch die riesige Anlage. Wie groß diese tatsächlich ist, stellen wir fest, als unsere Tüten noch fast voll sind, wir uns in der Mitte des Parks befinden und die Brunftführung in einer Viertelstunde los geht. Also schnell noch ein paar Wildschweine gefüttert, den Wölfen kurz zugewunken und zurück zum Eingangstor gehetzt.

    Wie erwartet, stehen dort nicht nur meine Freundin Julia, ca. 40, ebenfalls Brunftinteressierte, sondern auch ein Filmteam der Hessenschau. Interessiert schließlich auch das ganze Bundesland, wenn ein paar Rothirsche übereinander herfallen!

    Gemeinsam ziehen wir mit der netten Försterin auf einen Hügel, von wo aus wir das Rotwild am besten beobachten können. Wir lernen den Hirsch „Odin“ kennen, der einen ganzen Harem von Hirschkühen um sich geschart hat. Die anderen Hirsche gehen leer aus. Sie müssen sich ihre Stellung als Platzhirsch erst hart erkämpfen, um sich einer Hirschkuh nähern zu dürfen. Provokant erscheinen sie dennoch zwischen den Baumstämmen, werden aber mit röhrenden Brunftrufen wieder vertrieben. Der stolze Odin versucht nebenbei, eine seiner Kühe zu „beschlagen“, diese ziert sich jedoch ein wenig. Begleitet vom Jagdhorngebläse einer Jägertruppe genießen wir dieses Spektakel:

    Aber ganz ehrlich, mit einem Hirsch möchte ich auch nicht tauschen: Er muss sich bis zum Platzhirsch hochkämpfen, bevor er die Möglichkeit hat, eine Kuh zu beschlagen. Der Akt dauert nur ein paar Sekunden und nebenbei muss er noch seine Rivalen bekämpfen. Und wenn er seine Stellung verliert, fristet er nur noch ein trauriges Dasein. Im besten Fall wird er erschossen. Unser Odin findet zum Glück dann doch eine willige Kuh:

    Brunft

    Während wir die Brunft beobachten, gesellt sich ein grün gekleideter Herr mit Jagdhorn zu uns: Ein Jäger, wie sich herausstellt. Mein Bild von diesen Menschen ist zugegebenermaßen nicht besonders positiv. Ich bin Vegetarier aus Überzeugung, weil ich Tiere liebe. Jemand, der gewissenlos und aus Spaß Tiere erschießt, ist mir suspekt. Doch dieser Jäger wirkt nicht wie ein „Feierabendkiller“, sondern beeindruckt durch sein enormes Fachwissen über den Wald und seine Bewohner. Das macht mich neugierig. Er erzählt, dass Jägersein kein Hobby ist, sondern eine Lebenseinstellung. Um überhaupt jagen zu dürfen, müssen Jäger für teures Geld ein Revier pachten. Für dieses tragen sie die Verantwortung und werden auch belangt, wenn beispielsweise die Wildschweine den Mais der Bauern fressen. Neben der Pflege des Geländes stellt das eigentliche Jagen nur eine Nebenrolle dar.

    Ich frage interessiert nach, wie es ist, ein Tier zu erlegen. Zu meiner Überraschung berichtet der Jäger, dass er über mehrere Tage hinweg das Tier beobachtet und seine Rolle in der Herde prüft. Erst dann legt er seine Waffe an. Das erlegte Tier wird komplett verarbeitet, doch die Einzelheiten über Knochenabsägen, Ausbluten und Fellabziehen möchte ich dann lieber doch nicht hören. Mit leckerer Wildlasagne und delikatem Dachsschinken kann er mich nicht ködern, aber ich bin zugegebenermaßen überrascht über diesen verantwortungsbewussten Umgang mit den Tieren.

    Der Jäger wirkt ein wenig bitter, als wir auf den Amoklauf in Winnenden zu sprechen kommen. Das Bild der grünen Naturkenner hat sehr darunter gelitten, da sie in den Medien zu potentiellen Killern verurteilt wurden. Es sei schwer, das Vertrauen wieder aufzubauen, das eine Person so nachhaltig zerstört hat. Er wünscht sich, dass die Jäger wieder als das angesehen werden, was sie eigentlich sind: Naturkenner und -schützer, die im Wald die Rolle der Bären und Wölfe übernehmen, um den natürlichen Feind des Wildes zu ersetzen.

    Trotz der Aussicht, viel über die Natur zu lernen und nicht schießen zu müssen, werde ich dennoch keinen Jagdschein machen. Aber die Idee, nachts das Treiben der Waldbewohner von einem Hochsitz aus zu beobachten, finden Robs und ich dennoch sehr spannend. Zudem sind wir begeistert, welch interessante Menschen man auch hier in Deutschland kennenlernen kann.

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