Auf unserer neunmonatigen Reise durch Asien hatten wir das Glück, den Geburtstag des thailändischen Königs Bhumibol Adulyadej hautnah miterleben zu dürfen. Am Demokratiedenkmal in Bangkok spürten wir unmittelbar, wie sehr die Thais ihr Oberhaupt lieben und verehren. Ein einmaliges Erlebnis.
Nachfolgend ein Ausschnitt aus unserem Werk „Reismomente“, mit dem wir Euch mit in die thailändischen Feierlichkeiten nehmen wollen.
Gemeinsam mit unserem deutschen Freund Tobi betreten Anke und ich die sechsspurige Ratchadamnoen Klang Road, die direkt auf das Demokratiedenkmal zuläuft. Die Sonne ist bereits vollständig verschwunden. Ihr letzter Schein wurde ungewohnt hastig von der Dunkelheit verdrängt. Umso schöner erstrahlen die tausend Lichterketten, die zu beiden Seiten der Fahrbahn in den Bäumen hängen. Sie verleihen der gesamten Szene eine besondere Feierlichkeit. Ein wenig wie das Lichterfest in Delhi, stelle ich erfreut fest und genieße diesen Anblick durch das Objektiv meiner Kamera. Zum Glück ist es hier aber deutlich ruhiger! Der Verkehr wird seit Anbruch der Dunkelheit umgeleitet, und so ist der Asphalt ganz in der Hand von Fußgängern. Am Straßenrand hocken Thais auf ihren ausgebreiteten Decken und verkaufen allerlei Klimbim. Es gibt thailändische Papierfahnen, rosafarbene Plastik-Kerzenständer und bunt leuchtende Stäbe.
Mein Spielerherz schlägt im doppelten Takt, als ich mitten auf der Straße einen Verkäufer bemerke. Mit einer Art Zwille schießt er immer wieder ein Objekt in den Nachthimmel. Blau blinkend kreiselt es langsam zurück in seine Hände, bevor es auf die nächste Reise geschickt wird. Genau mein Ding, denke ich und überlege schon, wie ich Anke von der Notwendigkeit dieses Kaufs überzeugen kann.
»Schaut mal, die sind ja alle Gelb angezogen«, stellt Tobi plötzlich neben mir fest.
Ich blicke auf die Menschenmassen, die sich aus den Nebengassen auf die Hauptstraße schieben. Fast alle Thais tragen gelbe T-Shirts, wodurch ein spannender Kontrast zu den einheitlich schwarzen Haaren erzeugt wird.
»Wisst ihr, was es mit der Farbe auf sich hat?«, erkundige ich mich neugierig.
»Ich habe gelesen, dass Gelb die Farbe der Monarchie ist«, antwortet Anke. »Es sind also vermutlich Anhänger des Königshauses – genau wie du, Tobi!« Zwinkernd schaut sie auf sein gelbes T-Shirt, auf dem Yoda aus Star Wars abgebildet ist.
Neugierig begeben wir uns ins Getümmel und treiben zwischen gelben T-Shirts durch die lichterkettenüberflutete Allee. Mir wird ein wenig mulmig, als ich eine Schar von Polizisten auf uns zukommen sehe. Sie schieben die Menschenmenge zur Seite und halten die inneren drei Fahrspuren frei. Verwirrt bleiben wir stehen und schauen auf den nackten Asphalt. Aus der Ferne sehe ich ein weißes Auto anrollen. Es wird von allen vier Seiten durch Polizeimotorräder beschützt. Das muss der König sein, denke ich aufgeregt. Die Thais um uns herum schwenken wild ihre Fahnen. Eine freudige Erregung liegt in der Luft. Wir lassen uns anstecken und winken der vorbeirollenden Limousine eifrig zu. Leider kann ich den König durch das abgedunkelte Fenster nicht erkennen. Was für eine Ehre, freue ich mich dennoch über diese unerwartete Nähe.
Eine junge Thailänderin wendet sich uns plötzlich zu und strahlt munter über beide Wangen. Ihre langen dunklen Haare hat sie zu einem Zopf geflochten und hübsch über die linke Schulter gelegt. Keck lächelnd reicht sie jedem von uns eine dünne Kerze – natürlich in Gelb – und zündet sie daraufhin an. Jeder erhält sogar noch ein eingeschnittenes Stück Pappe, das unter die Kerze gesteckt wird. Es dient wohl als Schutz vor herabtropfendem Wachs. Wie lieb von ihr!
Um uns herum höre ich überall Streichhölzer zischen und Feuerzeuge rattern. Das Meer aus gelben Thais beginnt zu leuchten. Und plötzlich singen sie. Mit voller Leidenschaft stimmen alle mit ein, die unzähligen Menschen auf dieser riesigen Straße: Sie singen ihrem König ein Ständchen zum 86. Geburtstag. Die Schönheit dieses Moments ist ergreifend. Noch nie habe ich Menschen so emotional für jemanden singen hören. Ich kann zum ersten Mal bis in die Knochen spüren, wie nah dieses Volk seinem König steht.
Wir erheben ebenfalls unsere Kerzen und ernten herzliche Blicke von allen Seiten. Die Thais freuen sich riesig, dass wir da sind und mit ihnen feiern, stelle ich fest und fühle mich mit offenen Armen in diesem Land willkommen.
Unsere knurrenden Mägen ziehen uns schließlich aus dieser freundlichen Menschenmasse hinaus in eine Nebengasse. Das im Reiseführer empfohlene Restaurant scheint es nicht mehr zu geben, und so landen wir in einem Einheimischenlokal. Im Inneren wird auf mehreren Flachbildfernsehern über die abendlichen Feierlichkeiten berichtet – in voller Lautstärke. Der Ton kratzt und pfeift unangenehm durch unsere Gehörgänge. Doch den thailändischen Familien an den Nachbartischen scheint dieser Lärm nichts auszumachen. Sie unterhalten sich einfach etwas lauter und prosten sich ausgelassen zu.
Auch unsere Mägen geben keine Ruhe, und so studieren wir neugierig das eingeschweißte Speiseblatt. Leider ist das Wort Menu das Einzige, das wir lesen können. Der Rest der Karte ist in kunstvoller thailändischer Schrift verfasst, die nur von ein paar unappetitlichen Essensfotos begleitet wird. Die Bedienung ist der englischen Sprache nicht mächtig, und so versuchen wir es mit Gesten. Wie kann ich ihr deutlich machen, dass wir etwas Vegetarisches wollen?
Ich zeige auf ein Nudelbild, anschließend auf eine Portion Krabben und drücke meine Ablehnung durch ein bestimmendes »No!« aus. Dazu schüttele ich gleichzeitig den Kopf und den rechten Zeigefinger. Die Prozedur wiederhole ich sicherheitshalber für die weiteren Fotos, auf denen sonstige Tiere abgebildet sind. Wird schon funktionieren, hoffe ich. Wir sollten dennoch schnellstens lernen, was Vegetarisch auf Thailändisch heißt. Anke zeigt unterdessen auf mich und nickt eifrig, um der Bedienung klarzumachen, dass sie dasselbe möchte.
Wenig später bekommen wir jeder einen großen Teller aufgetischt. Ein paar Krabben schauen mich frech vom Gipfel meines Nudelbergs an. Besorgt blicke ich auf Ankes Portion. Mit ihrer Gabel gräbt sie dort gerade ein paar Klumpen Fisch, Schwein, Huhn und Rind aus. Ich folge ihrem Beispiel und schürfe mein Fleisch ebenfalls beiseite. Ich beginne gleich morgen, Thailändisch zu lernen, beschließe ich in diesem Moment.
Im Fernsehen läuft währenddessen die Geburtstagszeremonie. Im Gegensatz zu den überall ausgestellten Portraits des Königs – sein Gesicht hängt gefühlt an jeder dritten Straßenlaterne und in jedem Restaurant – sieht er in echt aber merklich gealtert aus. Jede Bewegung scheint ihn sehr anzustrengen. Ich bezweifle inzwischen, dass er eben noch mit der schmucken Limousine an uns vorbeigedüst ist.
Meine Gedanken werden durch ein lautes Donnern unterbrochen. Ein besonders imposantes Feuerwerk erstrahlt auf dem Fernseher. Die TV-Boxen dröhnen bei jeder Explosion und wenige Sekunden später hören wir den Knall auch durch unsere Nebengasse schallen. Wir verabschieden uns daraufhin von unseren Fleischbergen und treten neugierig zurück auf die Hauptstraße. Minutenlang wird uns ein bombastisches Schauspiel aus farbigen Mustern und erschütternden Donnerschlägen dargeboten. Nach einem tosenden Finale beruhigt sich die luftige Bühne.
Erst jetzt bemerke ich die vielen hellen Punkte am Nachthimmel. In der Ferne wirken sie wie kleine Sterne, die langsam in die Dunkelheit des Universums aufsteigen. Was ist das und wo kommt es her? Sie scheinen in einem kleinen Parkabschnitt am Ende der Straße zu starten.
Wir folgen unserer Neugierde und manövrieren uns durch die immer noch gefüllte Straße. Als wir dem Park näher kommen, erkenne ich die merkwürdigen Flugobjekte genauer. Es sind Himmelslaternen. Sie sehen aus wie große Papiertüten, deren runde Öffnung mit Draht verstärkt ist. In der Mitte des Drahtgestells ist ein Ring aus brennbarem Material befestigt.
Ich beobachte eine Familie, die gerade ihre Laterne startet. Flammen schlagen aus dem Ring empor und lassen den Papierballon Orange glühen. Alle Augen sind gebannt auf ihn gerichtet, als er langsam in die dunkle Nacht emporsteigt. Nur zwei kleine Mädchen springen vor Freude im Kreis und greifen ihrer Laterne vergeblich hinterher.
Das sieht nach Spaß aus, finde ich, und wir kaufen uns für fünfzig Cent ein eigenes Exemplar. Beim Anzünden stellen wir allerdings fest, dass keiner von uns ein Feuerzeug besitzt. Doch die neben uns stehende Großfamilie hilft kurzerhand weiter. Wir entfachen unsere gelben Kerzen erneut und befeuern damit den runden Anzünder der Himmelslaterne. Der freundliche Vater unterstützt uns tatkräftig dabei, während sich seine Frau unsere Kamera schnappt. Sie hält inbrünstig jeden Augenblick dieses aufregenden Prozesses fest. Die Thais hier sind einfach so liebenswürdig und herzlich!
Als die Flammen aus dem Ring springen, wendet sich der Vater an uns. »Ihr müsst noch warten, bis die Laterne sich voll aufgeheizt hat«, rät er. »Habt ihr euch schon Wünsche überlegt?«
»Nein, wofür?«, frage ich zurück.
»Jeder von uns flüstert seinen Wunsch in die Laterne und lässt ihn so in den Himmel steigen. Ihr solltet das probieren, er wird sich erfüllen!«
Wir überlegen kurz, und jeder murmelt daraufhin geheimnisvoll ein paar Worte in den aufgeheizten Ballon. Unter dem Klicken der Kamera lösen wir unsere Finger von der Laterne, die daraufhin langsam den zahllosen Lichtern am Nachthimmel hinterher steigt. Als ich zurück in die Augen der freundlichen Thai-Familie schaue, sehe ich riesige Freude. Sie scheinen dankbar zu sein, dass wir an ihrem traditionellen Ritual teilnehmen. Dabei haben wir doch für ihre Hilfe zu danken, denke ich ungläubig.
Die Familienmutter kommt strahlend auf Anke zugelaufen und umarmt sie aufs Allerherzlichste. Verdutzt schaut mich meine Frau an. So viel Innigkeit sind wir von Fremden nicht gewohnt. Zum Abschied schenken sie uns sogar noch drei rosa Haarreife mit thailändischen Schriftzeichen. Wir lieben den König ist ihre klare Botschaft, die wir im Rausch dieses Abends gerne weiter verbreiten.
Wir lassen uns im Gras nieder und saugen die Atmosphäre um uns herum auf. Fasziniert beobachten wir die Einheimischen, wie sie mit voller Hingabe ihre Laternen steigen lassen. Indien war schon ein anderes Pflaster, realisiere ich. Die Mentalität war deutlich rauer, und es gab mehr Regeln, nach denen man sich richten sollte. Hier in Thailand fühle ich mich hingegen sehr frei. Mein Blick fällt auf eine sehr enge Hotpants, doch sie macht mir nichts mehr aus. Meinen anfänglichen Kulturschock habe ich endgültig überwunden.
Hallo Thailand, ich bin bereit für dich! Was hast du noch alles zu bieten?