Warten bedeutet für uns meist etwas Negatives. Wir denken an das ewige Herumsitzen im Wartezimmer eines Arztes oder an die Momente, in denen wir in klirrender Kälte am Bahnhofsgleis standen und vergeblich nach der nächsten S-Bahn Ausschau hielten.
Doch Warten birgt auch eine Chance: Wir können ganz bewusst im Hier und Jetzt sein und den Moment genießen. Uns umschauen und die Umgebung und unsere Mitmenschen wahrnehmen. Einmal nicht das Smartphone zücken und uns in andere Realitäten flüchten, sondern mal den eigenen Gedanken folgen.
Auf Materielles müssen wir in der heutigen Zeit kaum noch warten, da wir alles sofort bekommen können. Das neueste Buch ist in Minutenschnelle auf dem eReader, Bestellungen über Amazon erreichen uns teilweise noch am selben Tag und die meisten Filme sind auf digitalem Wege direkt erhältlich. Auf etwas hin zu sparen gehört der Vergangenheit an, da wir nur einen Kredit aufnehmen brauchen und – schwups – steht das Traumauto vor der Tür. Zu einfach und schnell erreichen wir unsere Träume, so dass wir kurz nach ihrer Befriedigung nach Neuem streben, statt das Gewonnene zu genießen.
Dem können wir jedoch bewusst entgegen steuern: Einfach mal den Brief von einem lieben Menschen einen Tag länger liegen lassen, eine Amazon-Bestellung ohne Expressversand ordern oder bewusst ein Geschenk erst nach dem Geburtstag öffnen. Bereits diese kleinen Momente des Aufsparens lassen uns die Dinge wieder mehr zu schätzen wissen.
Erinnern wir uns zurück an unsere Kindheit, in der das Warten einen ganz eigenen Zauber hervorrief: Die Ungeduld vor dem kommenden Geburtstag. Das Öffnen des Adventskalenders, um zu sehen, wie viele Tage es noch bis Weihnachten sind. Oder die Vorfreude auf die gefühlt endlosen Schulferien. Bereits der Gedanke daran ließ doch unsere Augen strahlen, oder? Holen wir uns ein Stück von diesem kindlichen Glück zurück, indem wir uns ganz bewusst auf kommende Ereignisse freuen! Zelebrieren wir die Zeit bis zum nächsten Urlaub, indem wir uns in Reiseführern verlieren. Tanzen wir zur Musik der Band, dessen Konzert wir bald besuchen werden. Und zählen wir die Tage herunter, bis die Freunde zu Besuch kommen, die wir lange nicht gesehen haben.
Doch wir sollten auch nicht zu lange warten. Viel zu oft höre ich von Menschen, die reisen wollen, sobald sie in Rente gehen. Ob sie es tatsächlich tun werden? Oder auf dem Flohmarkt ein besonderes Objekt stehen zu lassen, nur um später festzustellen, dass es jemand anderes gekauft hat. Nicht um einen Menschen zu kämpfen, der einem wichtig ist. Vielleicht wartet er nicht ewig?
Wie im Leben so oft, ist auch beim Warten die Balance entscheidend.
Dieser Artikel ist inspiriert aus der flow, Nummer 14 („Noch zweimal schlafen…“) und ist Alex M. gewidmet.